... um  nach einer machbaren Tour zu suchen. Oft hindert ihn dann nur das laute Hupen des gerade aus der Querstraße biegenden BMWs am Überfahren der nächsten roten Ampel oder Rentnerin. Einmal außen am Haus hinauf, wer hatte diesen Wunsch noch nicht?

Nun, im Gegensatz zu all den Großstadtbewohnern hatten die halleschen Kletterer letztes Wochenende die Gelegenheit, ihn sich zu erfüllen. Sie bot sich anlässlich des Glauchaer Stadtteil-Festes in Halle und neben allerlei originellen Angeboten, wie Kinderschminken oder Glücksrad-Drehen auf der gesperrten Hochstraße, organisierte die IG Klettern einen Hochhaus-Speedkletter-Wettkampf. Der 20-geschössige Vertikal-Quader „Steg 3“ - mit seiner Mission, Halle eine Großstadt-Skyline zu verleihen, grandios gescheitert und nun zum Abriss freigegeben – durfte mit Erlaubnis der verantwortlichen Wohnungsgenossenschaft bestiegen werden. Das sprach sich im Vorfeld natürlich schnell herum. So wurde ich schon am Wochenende zuvor in Löbejün ständig mit der Frage: „Sehen wir uns beim Hochhausklettern?“ konfrontiert. „Hochhausklettern? - Hä, wo?“ fragte ich zunähst noch. Blöd. Da ist man schon in dem Verein und weiß mal wieder als einziger nichts von den eigenen Projekten. Das muss man sich das dann von einem Cottbuser erklären lassen. Egal. Zu Hause angekommen, dass ganze schnell gegoogelt und herumtelefoniert. Das Klettern sollte in Dreier-Teams stattfinden, angemeldet wurde sich per Mail. Also zunächst ein Team organisieren. Schnell Hannes in Cottbus angerufen, schließlich wollte der auch mitmachen, und rekrutiert. Fehlte nur noch Nummer Drei. Die fand sich schnell in Logan. Auch er war sofort begeistert. Nun konnte ich uns anmelden. Beim Schreiben der Anmeldungs-Mail fand ich, dass wir auch noch einen Namen bräuchten. Irgendwas cooles. Also über Facebook eine kleine Konferenz abgehalten und der ultimative Name war geboren: „The Motherfucking Urban Killers“. Logans Idee. Auf Hannes Wunsch hin entfiel später das „Motherfucking“ und die Urban Killers waren „Bereit zum Fight“.

Sonntag also standen wir dann (halbwegs) pünktlich 14 Uhr an Ort und Stelle bereit und erwarteten das Großereignis. Und nicht nur wir: ganze neun Teams hatten sich ein- oder im letzten Moment gefunden. Außerdem war ein Kamera-Team des MDR Fernsehens vor Ort. Dann ging es los. Silvio begrüßte die Teilnehmer und erklärte die Wettkampfregeln. Geklettert wurde im Toprope (Ein wenig wehmütig verscheuchte ich die Bilder von in Mauer-Fugen gelegten Sicherungen und dem Nachholen an verrosteten Satellitenschüsseln aus meinen Gedanken). Die Kletterstrecke erstreckte sich vom 5. bis zum 20. Stock, wovon jeder im Team 5 Stockwerke bezwingen sollte. Also musste jeweils im 10. und im 15. Stock umgebunden werden. Jeweils zwei Teams starteten neben- und gegeneinander, während ihre Zeiten vom Boden aus gestoppt wurden. Die zwei schnellsten Teams würden danach in einem Finale noch einmal gegeneinander antreten. Nachdem das geklärt war, sollte es auch schon bald losgehen. Konnte es aber nicht, weil es nämlich kurz darauf anfing in Niagara-Fall-Dimensionen zu regnen. Eigentlich hatte es ja fast den ganzen Monat Mai über geregnet, als ob die Wettergötter sich zusammengetan hätten, auf diesem Wege die Freilassung Jörg Kachelmanns aus dem Gefängnis zu erpressen, weshalb sich niemand mehr wunderte, noch die Mühe machte, sich zu beschweren. Außerdem wurde uns bald Gnade zuteil und eine weiße Wolkenfront, gleich hinter der schwarzen über uns, kündete vom baldigen Ende des Mittags-Monsuns. So konnte das urban-alpinistische Kräftemessen bald darauf beginnen. Wir sollten im dritten Durchgang an der Reihe sein und zusammen mit den „Matschköppen“ starten. Also noch genug Zeit die Technik der Anderen zu studieren und sich einen guten Schlachtplan zurechtzubasteln. Während der eine oder andere das Balkonhangeln wohl einfach nur mal aus Spaß ausprobieren wollte, wollten wir ernst machen. „Am schnellsten geht's wahrscheinlich wenn wir einfach nur Dynamos machen und die Geländer von unten anspringen.“ „Klar, wie sonst, passt schon, sieht doch sauleicht aus.“, meinte ich noch selbstsicher. Die erste Etappe wollte ich übernehmen, Hannes bekam die Mitte und Logan sollte auf den letzten Metern noch mal Zeit herausholen können. Soweit – so gut. An den Start – einbinden – auf die Plätze – fertig – Los! Einfach die Balkone anspringen – ha, von wegen. Irgendwie war das doch weiter als ich dachte. Egal, dann eben mit Zwischen-Stützen. Es ging trotzdem recht schnell und ich konnte mich gut vom Matschkopp neben mir absetzen. Das ist ja doch recht anstrengend dachte ich bei mir und kam kurz darauf keuchend bei Hannes auf Etage 10 an. Ich übergab das Seilende und Hannes stürmte los. Das wollte ich von oben sehen. Auf durch das Treppenhaus. Nach drei Stockwerken brach ich japsend zusammen, als ich oben ankam war Hannes schon da und Logan schon weg. Mist. Egal, auch von unten ein beeindruckendes Bild. Die verbleibende Wettkampfzeit nutzte ich zur „Location-Besichtigung“. Man ist ja nicht alle Tage in Gebäuden in denen die DDR so lebendig ist wie in diesem. Da waren die kleinen verrammelten Wohnungen, der klapprige Fahrstuhl, der sogar noch fuhr und komischerweise nur in jedem zweiten Stockwerk hielt, nämlich in jedem mit ungeraden Zahlen. Ganz oben fand sich sogar ein Sonder-Apartment, das wohl den ganz hohen SED-Mitgliedern vorbehalten war. Es erstreckte sich über zwei Stockwerke, hatte zwei Badezimmer und einen eigenen Dach-Zugang. Neugierig öffnete ich einen Wasserhahn und ich muss sagen: ich habe noch nie so braunes Wasser gesehen. Nachdem das letzte Team, „Revolution am Mittwoch“, den 20. Stock erreicht hatte, gab Silvio unten die Platzierungen bekannt. Uns auf dem vierten, maximal dritten Platz wähnend, zogen wir schon mal die Gurte aus. Entspannt lehnten wir uns zurück und lauschten den von hinten genannten Platzierungen, neugierig wer denn wohl als zweitbester gegen Tino & Co, deren Sieg niemand ernsthaft anzweifelte, antreten würde. Team für Team wurde genannt und unsere Schätzung mit Platz 3 schien zuzutreffen. Dann kamen die letzten zwei Teams an die Reihe. „Wow, Zweite“ dachten wir noch. Aber auch das war falsch. Auf Platz 2 waren „die drei lustigen 4“ mit Benni, Tino und Andi. Mit einer Sekunde Vorsprung waren wir bestes Team in der Vorrunde geworden. Tolle Sache. Also Gurte wieder an und zurück zum Fahrstuhl. Um die Schwierigkeit zu erhöhen, wurde auf Etage 2 gestartet. Jeder hatte nun also 6 Balkone zu bezwingen. Ich übernahm wieder die erste Etappe und startete mit Benni zusammen. Also, es gilt, dieses Mal springst du, versuchte ich mir zu befehlen. Vergeblich. Ich stützte wieder zwischen. „Puh, ganz schön anstrengend auf einmal“, dachte ich bei mir. Ja, so ein Erschöpfungsgefühl kann in solchen Momenten sehr demotivierend wirken. Noch demotivierender ist es aber den Kontrahenten aus dem Augenwinkel pfeilschnell und scheinbar mühelos nach oben schießen zu sehen. Hechelnd und um einiges später als er erreichte ich schließlich Etage 8, wo Hannes bereits wartete. Erneut wurde umgebunden und erneut versuchte ich mich im Treppen-Rennen. Als ich Stockwerk 14 erreichte, waren Hannes und Andi schon angekommen. Aus Andis Worten „Mensch, du bist aber schnell“ schloss ich, dass Hannes vor ihm eingetroffen sein musste. Na bitte, es wird doch noch spannend, dachte ich, während ich erneut durch das Treppenhaus stürmte. Im 20. Stock sah ich Logan und Tino gerade noch gleichzeitig über die Brüstung springen. Später erfuhr ich, dass Logan sich zunächst einigen Vorsprung erkämpft, diesen dann aber durch einen blöden Ausrutscher wieder verspielt hatte. Es blieb also spannend. Welcher Vorsprung war größer gewesen? Dies sollte die Siegerehrung zeigen. Die konnte aus zweierlei Gründen jedoch nicht sofort stattfinden. Zum einen musste auf das Kamera-Team gewartet werden, das das Finale von der Hochstraße aus gefilmt hatte, zum anderen stellten wir an der Ausgangstür fest, dass diese verschlossen war und wir nicht hinaus kamen. Es gab nur einen Schlüssel und dieser war gerade mit dem dazugehörigen Schlüsselkind wieder nach oben gefahren. Verdammt. Da kann die Siegerehrung nicht stattfinden, weil die Sieger eingesperrt sind. Während des Wartens auf unsere Freilassung, nutzten wir die Zeit, die Briefkästen im Eingangsbereich zu durchwühlen. Und siehe da: die waren teilweise noch voll gestopft mit Zeitungen, Prospekten und Gerichts-Zustellungen. In einem fand sich sogar ein Berg aus ca. zwei Dutzend Schlüsseln verschiedenster Größe und Farbe. Leider passte keiner in die Eingangstür. Letztendlich kamen wir frei und die Veranstaltung zu einem Ende. Es folgte die Bekanntgabe des Sieger-Teams. Mit knapp 6 Sekunden Vorsprung siegten die „drei lustigen 4“. Als Pokal diente eine aus dem Gebäude gebrochene und bunt verzierte Kachel. Preise gab es für die Sieger auch. Wir hingegen entledigten uns endgültig unserer Gurte und beschlossen, dass auch ein zweiter Platz ein ordentliches Begießen mit Bier verdient hätte.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war mein erster Gedanke: „Was für eine geile Aktion“. Dann stand ich auf, kochte mir Kaffee und ging zur S-Bahn.